Vermischtes Worum die Weser einen großen Bogen macht

Erstens es kommt anders und zweitens als man denkt.

geschrieben von Janni Freitag, 18. Mai 2018 um 22:40 Uhr

Wahnsinn

Meine erste Idee: Ich werd Bundeskanzler

„Hä? Wieso will Janni jetzt nicht mehr Lehrer sondern Bundeskanzler werden?“ Das hat weniger was mit Wollen sondern eher was mit Dürfen zu tun. Nein, Bundeskanzler werden durfte ich schon vorher (eines der wenigen politischen Ämter, die man schon ab 18 und nicht erst ab 40 bekleiden darf), aber Lehrer werden darf ich jetzt nicht mehr.

Alles begann damit, dass ich Anfang März mein Referendariat nicht bestanden habe, weil mich meine Fachleiterin in Informatik gar nicht erst zum Examen zugelassen hat. Der Grund: Unterrichtsgespräch. „Es gibt Lehrer, die Führen gar kein Unterrichtsgespräch“, meinten daraufhin einige Schüler einer Klasse, für die ich mich im laufenden Schuljahr sehr eingesetzt habe und die mir auch zum Abschied einen Brief geschrieben haben. Es war ein blauer Brief, kein Wunder, er kam ja aus der Schule.

Man hat’s ja. Lehrer gibt es wie Sand am Meer, gerade in Informatik und Mathematik. So scheiße, mich nicht zuzulassen, kann ich nun auch nicht sein. Warum ich das denke? Weil gerade die Frau, die mich zweimal nicht zum Examen zugelassen hat, von mir erstellte Materialien (es geht um die Datei „AB Datenschutz.docx“, Seite 5–6) für ihre eigenen Fortbildungen und Seminare verwendet und in letzterem explizit als Ihres ausgegeben hat (wurde mir gesagt). Es gibt allerdings eine Sache, die dagegen spricht, dass mein Material wirklich gut war: Eines der kopierten Arbeitsblätter war zum Thema Urheberrecht – und die Fachleiterin hat es trotzdem kopiert. Vielleicht dachte sie, dass das Ersetzen von „du“ durch „Sie“ (ihre eigene „Leistung“ daran), eine kreative Weiterentwicklung darstellt?

Ich bin fleißig, streng mich an, ich bin das Original. / Andere kopieren und sind lauter aber nur zweite Wahl. / Ich könnte alles erreichen: Ich könnte Wälder ausreißen, / ich könnte Berge versetzen, mich nie beim Raten verschätzen.

Da gehört schon ein gehöriges Maß Arroganz oder Hass (#ReconquistaInternet #LiebeIstÜberall) dazu. So eine Nichtzulassung bedeutet ja, dass Schule ihrer Meinung nach ohne mich ein besserer Ort wäre, und dass man der Prüfungskommission die Kompetenz abspricht, mich bei angeblich derart großer Unfähigkeit im Examen eh durchrasseln zu lassen. Auch andere an der Schule waren angesichts meiner Nichtzulassung schockiert, die ich am 5. März in einem Gespräch mit der Fachleiterin und dem Studienseminarleiter mit den für sie typischen Worten „Herr Kettenburg, es hat leider nicht gereicht“ erhalten habe. Ursprünglich hatte ich mir vorgenommen, in dem Fall mit den Worten „Aber mir reicht’s.“ den Raum zu verlassen, aber irgendwie hab ich das verpeilt. Eigentlich, meinten die Mitreferendare an meiner Schule (also die, die nicht Selbstmord begangen haben, aber das ist eine andere Geschichte, RiP Malte), hätte ich auch schon am 19. Oktober besagte Fortbildung sofort verlassen sollen, mit den Worten „Das ist eh mein Material, deshalb geh ich jetzt. Schönen Tag noch.“.

Na ja, immerhin nie wieder Unterrichtsbesuche, die einem die Nacht rauben.

Ich habe genau dann zu viel gearbeitet, wenn das Dokument mit den Ukulele-Akkorden aus den 25 zuletzt geöffneten Word-Dokumenten fällt.

Einziges Problem: Ich bin kein klassischer Nerd, der unzählige Programmiersprachen spricht, sondern nutze primär die Programmiersprache Delphi, die inzwischen nicht mehr verbreitet ist. Die meisten Firmen bauen damit ERP-Software („Enterprise Resource Planning“, allgemeine Firmensoftware) und Programme zur Steuerung von irgendwelchen Maschinen. Meine Fräse, das ist nicht sehr spannend.

Ich kann zwar auch andere Programmiersprachen (JS, PHP und Java), mag Delphi aber von der Syntax her am ehesten. Viele Sachen konnte ich mir intuitiv erschließen, zum Beispiel Syntax und Funktionsweise von Typumwandlungen. Außerdem gibt der Compiler echt gute Fehlermeldungen aus, was man von Java nicht behaupten kann.

Das Seminargutachten gehört in die Ablage P.
Elektronische Datenverarbeitung kann ich. (Bild: Screenshot von Windows 7, Urheber der Symbole: Microsoft)

Ich sage von mir, ich kann alles, aber nichts wirklich gut. Ich kann Webdesign, Grafikdesign, Werbung, Journalismus, Social Media, Programmieren, Reverse Engineering, Computerhardware, Datenbankentwurf, Fotografie, Musiktheorie, vergleichende Linguistik und vieles mehr. Aber (natürlich) nicht auf dem Niveau, wie das Leute können, die nur eins davon machen. Am besten wäre also ein Job bei einer Firma, die mich nicht als Fachidiot sondern Mädchen für alles einsetzt. Selbstständigkeit ist schwer für mich, da ich nicht in der Lage bin, einen Preis für etwas zu fordern.

Das gelte aber wohl nur für Produkte, die der potenzielle Käufer nicht braucht, meinte ein Berater der Arbeitsagentur in Bremen, nachdem ich vom durchschlagenden Erfolg bei der Verdrängung existierender Software durch paw·ned² und YaTQA erzählt habe. Ich war nämlich bei diversen Beratungsangeboten der Arbeitsagentur. Zum einen war ich in Bremen, wo man mir auch sagte, dass Lehramtsabbrecher eigentlich keine Chancen hätten, es aber vielleicht Ausnahmen für meine Fächer gebe. Davor und danach war ich in einer Stadt, die es zwar selbst nicht gibt, dafür aber eine Beratungsstelle nur für Lehramtsabbrecher, deren Nummer ich bei dem vorhin erwähnten Gespräch erhalten habe (das, wo es weder für eine Zulassung noch für einen stilvollen Abgang gereicht hat). Die Wartezeiten betragen da etwa 4 Wochen, dann muss es ja gut sein. Beim ersten Gespräch an Gründonnerstag war die Beraterin erstaunt, dass ich da energisch und voller Tatendrang ankam. Ihr wichtigstes Utensil sei normalerweise die große Taschentücher-Box unter ihrem Tisch. Mehr kam da auch nicht raus und so war ich einen Monat später, nach meinem Gespräch in Bremen, noch einmal dort. Es begann das große Kartenlegen basierend auf einem Diagramm meiner Kompetenzen, das ich zwischenzeitlich erstellt hatte. Am Ende des Prozesses, den die Beraterin zwischendrin zum Beleidigen meiner Fachleiterin unterbrach, bekam ich einige Karteikarten. Und zwar mit Jobvorschlägen wie Versicherungsproduktentwickler und – was ihr erst später aufgefallen ist – gleich zwei Karten mit „Wo ist eigentlich Ihr Problem?“. Genau im Gegensatz zum Ergebnis meines Gesprächs in Bremen hatte ich demnach allenfalls ein Luxusproblem und sollte sinnlose Produkte verkaufen...

Irgendwie ist die Arbeitsagentur nichts für mich. Die für mich eigentlich zuständige Arbeitsagentur hat mich mangels Alternativen der Beratung für Unter-25-Jährige zugewiesen (ich bin 28).


In soviet Russia jobs find you

...und in Deutschland jetzt auch! So lief es nämlich bei mir ab, als ich beim Internetforum Delphi-PRAXiS am 18. April (vor dem dritten Beratungsgespräch) eine Nachricht im Postfach hatte, von einem Mitarbeiter einer Firma, die in einem Gewerbegebiet bei meinem Heimatort Kirchlinteln Fenster über das Internet verkauft und die eingesetzte Software erneuern möchte und das in Delphi. Grund dafür war mein Post in einem Forum zu Delphi, nachdem ich Ende Juni das erste Mal nicht zum Examen zugelassen wurde. Perfektes Timing und so stand ich dort am nächsten Tag um 10 Uhr zum Kennenlerngespräch auf der Matte.

Zwei Wochen später war ich dann noch bei einem formalen Bewerbungsgespräch, habe mich ein bisschen beim Gehalt runterhandeln lassen und seit Montag arbeite ich nun dort.

Können angehende Verkaufsagenten eigentlich aus einem Bewerbungsverfahren ausscheiden, weil sie zu wenig Geld gefordert haben?

Von Hoffnungslosigkeit zu einem tollen Job in zwei Wochen und anderthalb Wochen später geht es los. Herausfordernde Aufgaben und dafür auch noch Geld kriegen. Ich bin richtig glücklich gerade.

In eigener Sache

Eigentlich war zum Ende meines Referendariats ein längerer Post gedacht und ich hatte eigentlich auch vor, meiner Fachleiterin gemäß der alten Fußball-Weisheit

Wenn wir hier nicht gewinnen, dann treten wir ihnen wenigstens den Rasen kaputt.
— (Rolf Rüssmann (1950–2009)

noch etwas Ärger wegen des Kopierens meiner Sachen zu machen, aber ich habe mit dieser Phase meines Lebens abgeschlossen. Oder mit einem der häufigsten Wörter auf Wikipedia ausgedrückt: </ref>

Mein bester Freund aus der Referendariatszeit und Urheber des Titels, Michael, steckt aber noch drin. Ihm wünsche viel Erfolg für seine Prüfung Ende des Monats. [Nachtrag: Er hat bestanden.]

Worum die Weser einen großen Bogen macht, / Unterrichtsbesuche raubten dir die Nacht. / Wo man dein Material ganz einfach klaut, / Das ist endlich vorbei, ja da bin ich jetzt raus.

Die ersten beiden Fotos sind Zitate aus dem Lied „Wahnsinn“ von Rob & Chris. Das Lied auf dem letzten Bild ist von mir, weil ich meine Erlebnisse häufig in autobiografischen Songs verarbeite.


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