Nachrichten vor Ort Tanz der Vampire
Fledermausforschung (flug-)hautnahInzwischen habe ich ein Programm geschrieben, das die Exif-Informationen unter Bildern automatisch hinzufügt. Sie befinden sich somit von jetzt an konsequent unter allen Systemkamera-Bildern.
Der Nabu Kirchlinteln hatte dieses Jahr so einige Aktionen geplant, wegen Corona fiel viel aus. Die in einem Post von Juni erwähnte Exkursion am 26. Juni ins Odeweger Moor fand aufgrund der vier Tage zuvor erlassenen Lockerungen tatsächlich statt, war im Vergleich zur Exkursion ins Verdener Moor, mit der sie im jährlichen Wechsel stattfindet, allerdings eher unspektakulär. Es gibt sowohl ein Transkript als auch Bilder von der Tour, vielleicht stelle ich sie noch irgendwann ein. Für Interessierte, die aufgrund der Corona-Restriktionen damals nicht zum Zug gekommen sind, wird die diesjährige Exkursion in kürze wiederholt, dies scheint jedoch nicht öffentlich zu sein.
Jetzt aber zur Aktion von Sonnabend um 20:30, der so genannten Bat Night (Fledermausnacht) vom Brammer See in Kirchlinteln. Die Bat Night ist eine internationale Veranstaltung, die am vergangenen Sonnabend und Sonntag weltweit stattfand, darunter 22-mal in Niedersachsen, wo 19 Fledermausarten leben.
Zumindest tun sie dies zeitweise, denn manche Fledermausarten ziehen genau wie Vögel. Es gibt Arten, die zur Brut hier herkommen, Wintergäste und solche, die das ganze Jahr über in der Region bleiben.
Die Aktivität von Fledermäusen hängt vom Wetter und vom Mond ab. Bei geringeren Temperaturen sinkt die Anzahl, da sie eine gewisse Körpertemperatur zum Fliegen brauchen (eine gefangene Fledermaus muss teils mit Händen gewärmt werden, um wieder abfliegen zu können, da sie ohne Bewegung auskühlt), und bei Vollmond fühlen sich die Tiere davon angezogen und fliegen nicht so tief. Beides ist heute der Fall und senkt die potenziell fangbaren Tiere.
Aber halt, alle Fledermausarten stehen doch unter strengem Schutz, warum dürfen diese Netze da aufgebaut werden? Die beiden auf dem obigen Bild sind die Fledermausbeauftragten des Landkreises Verden und führen wissenschaftliche Untersuchungen mit Genehmigung durch die UNB und NLWKN durch. Dafür eignet sich ein See wie dieser besonders, der Insekten anzieht, die die in Niedersachsen vorkommenden Arten ausschließlich fressen. Es gibt allerdings auch Arten, die Jungvögel oder Fische fressen. Flughunde fressen Früchte, was auch ihr englischer Namen aussagt. Gefressen werden Fledermäuse wiederum von Eulen. Schleiereulen gehen auch gezielt auf Jagd nach Fledermäusen. Wer eine Schleiereule hat, hat in der Regel keine Fledermäuse im Haus – aber normalerweise auch keine Marder.
Da das wissenschaftliche Hantieren mit Fledermäusen in sozialen Medien falsch aufgefasst werden könnte, habe ich für dieses Event keine Drehgenehmigung, somit gibt es nur Bilder.
Abendsegler dürften hier die häufigste Gattung sein (vertreten durch die Kleinen und Großen Abendsegler). Die Teichfledermaus gibt es bei uns entgegen des Namens an Flüssen und Kanälen, aber eine Wasserfledermaus kann man hier vielleicht finden. Die höchste Aktivität ist jetzt nach Sonnenuntergang und am frühen Morgen zu erwarten, aufgrund des Kälteeinbruchs nach Mitte August jedoch deutlich weniger als zuvor.
Aus dem Grund wird auch die Wochenstube der Mausohren in der St.-Petri-Kirche in Kirchlinteln-Kernort so langsam geräumt und natürlichere Bleiben aufgesucht. Als Wochenstube werden bei Fledermäusen Orte bezeichnet, wo die Weibchen ihre Jungen zur Welt bringen. Das können beim Mausohr in Mitteleuropa auch mal 5.000 Individuen sein, normal sind 50–1.000.
Einige Kirchen verkaufen den Kot der dort lebenden Fledermäuse. Er ist bröckelig und enthält Chitin von den gerfressenen Insekten, sodass er glänzt. Zum Sammeln/Reinigen von Fledermauskot, was der Nabu hier manchmal in der Kirche macht, müssen aus gesundheitlichen Gründen Schutzanzüge getragen werden.
Die Netze bestehen aus acht Ebenen, die durch Teleskopstangen ausgefahren werden können. Als Material kommt Puppenhaar zum Einsatz, damit sich die Tiere nicht verletzen. Normalerweise schadet ihnen die Aktion so auch kaum. Normalerweise bleiben sie nämlich in den Netzen hängen, fallen also nicht zu Boden. Wenn sie sich verheddern, muss man sie rausschneiden und befreien. Einige Fledermäuse durchbrechen das Netz aber auch, deshalb hat es einige große Löcher. Nasse Netze können von den Tieren geortet werden, bei Feuchtigkeit ist somit kein Fang möglich.
Trotz der großen Netze fangen wir ... zunächst mal nichts. Wer will kann sich einer Gruppe anschließen, die mit dem Fledermausdetektor in der Nähe umher läuft.
Mit diesem Gerät kann Fledermauslaute aufzeichnen, ihre Rufe hörbar machen und die Tiere akkustisch bestimmen. Schauen wir mal auf das Display:
So weisen wir u.a. Zwergfledermäuse (macht den Großteil aus und es ist ja auch allgemein die häufigste Fledermaus in Deutschland), Rauhhautfledermaus, Wasserfledermaus (oder ein anderes Mausohr) und Breitflügelfledermaus nach. Aktivität ist also da, wenn auch vor allem auf der Allee-artigen Straße, wo sich unter den Bäumen die Wärme des Tages besser hält. Die gerade sehr aktiven Heuschrecken werden vom Detektor ebenfalls aufgenommen.
Da immer noch nichts gefangen wurde, wollen die beiden ein zweites Netz aufbauen. Zunächst hatten sie davon abgesehen, da sie bereits mit einem Netz erwartet haben, dass sie genug zu tun gehabt hätten und sich um die Fledermäuse aus zwei Netzen nicht hätten kümmern können. Doch als das zweite Netz gerade aufgebaut werden soll, geht uns doch eine Fledermaus ins Netz:
Die beiden Experten bestimmen und erfassen das Tier, sowie z.B. Geschlecht, Gesundheit, Alter, Gewicht, Größe.
Das Alter wird am Zustand der Zähne oder Zitzen grob geschätzt und kann über 30 Jahre betragen. Die Zitzen muss man durch Pusten erst sichtbar machen; wegen Corona nimmt man jetzt Druckluft aus der Dose. Als Maßstab für die Größe einer Fledermaus nimmt man aus praktischen Gründen die Länge des Unterarms. Das Gewicht wird gemessen, indem die Fledermaus in ein verschließbares Eimerchen kommt, das gewogen wird. Das Ergebnis in diesem Fall: 11,3 Gramm. Wenn man die Fledermaus wieder aus dem Eimer nimmt, muss man aufpassen, dass sie nicht flüchtet.
Damit dieselbe Fledermaus nicht zweimal pro Abend untersucht wird, markieren sie eine Kralle mit Nagellack, übrigens ganz normalem aus der Drogerie. „Den hab ich von meiner Freundin geklaut“, sagt der Forscher, „jetzt Ex-Freundin...“. Das darf eines der drei Kinder übernehmen, die zusätzlich zu 21 Erwachsenen anwesend sind. Natürlich wird Abstand gehalten und/oder Maske getragen. Nach einigen Tagen blättert der Nagellack ab.
So eine Breitflügelfledermaus ist sehr robust, aber auch sehr renitent (vielleicht ist sie aber auch einfach mit der Nagellack-Farbe nicht einverstanden). Während man zartere Arten mit einem leichten Handschuh anfassen kann, muss es für diese Art schon ein Lederhandschuh sein, da sie ihre Zähne benutzt.
Die meisten Teilnehmer gehen dann, nachdem der offizielle Teil nach Überreichung einer Präsenttasche gegen 22:30 endet. Die beiden werden durchmachen. Eine weitere Teilnehmerin und ich bleiben bis kurz nach 0 Uhr. Die beiden erzählen von Erlebnissen:
So haben sie einmal in Sachsen-Anhalt veruscht, Fledermäuse zu untersuchen. Auf der Straßenseite gegenüber fand auf einem Bauernhof ein Konzert von Roland Kaiser statt. Den, der das organisiert hat, sollte man wirklich mal fragen: „Warum hast du nicht Nein gesagt?“. Der Abend war wenig erfolgreich. Auch Fledermäuse haben wohl Niveau. Auch in Friesoythe hat ein Konzert mal ihre Arbeit gestört, dort allerdings von Nazis. Und einmal waren sie irgendwo in einem Wald, als plötzlich ein Auto auf ihr Netz zufuhr. Sie haben noch versucht, die Frau am Steuer zu stoppen, die es jedoch dann erst recht mit der Angst zu tun bekam, beschleunigte und so das Netz durchfuhr. Übrigens melden die beiden in den Wintermonaten, wenn zu ihren Arbeitszeiten noch viele Leute wach sind, ihre Aktionen bei der Polizei an. Es gibt jedoch auch Polizeistationen, die sich dafür nicht interessieren.
Gut, ich merk schon, das reicht für heute. Man liest sich. Und jetzt nicht von Vampiren träumen.
(Ich erteile hiermit der MK (z.B. VAZ) und dem Nabu die Erlaubnis, sämtliche meiner Bilder dieser Aktion mit Angabe des Autors Janni Kettenburg in allen Publikationen zu verwenden.)
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