9-Euro-Ticket Helgoland (II) Tag 1: Ohne Abstand auch gut
Nochmal auf Helgoland. Diesmal sogar spontan über Nacht.
Dieser Blogpost behandelt den 2. Juli 2022.
Von Sonnabend bis Mittwoch war Verden der Landkreis mit der höchsten Inzidenz Deutschlands (Grund dafür dürfte das Volksfest Domweih sein). Das feiere ich tradionell, indem ich am nächsten Wochenende nach Helgoland fahre. Beim letzten Mal war das Motto der Insel „Mit Abstand am besten“. Das ist es immer noch.
Aber auf den Schiffen der Reederei Cassen Eils ist nichts mit Abstand und auch nicht mit Maske. Da ich bis heute kein Corona hatte, gehe ich sehr stark davon aus, es nicht kriegen zu können. Blutgruppe 0 und so. Aber die Impfung hat mir nicht nur meine Freiheit wiedergegeben, sondern ich gehöre auch zu den Leuten, die nach der Impfung keine Allergien mehr haben. Mai, Juni und Juli ohne Medikamente überleben ist für mich normalerweise nicht drin. Dieses Jahr habe ich keine Medikamente genommen und überhaupt nichts mitgekriegt. Wirklich kein Bisschen.
Der Katamaran benötigt entgegen der Angaben auf der Website nicht 75 sondern heute etwa 100 Minuten für die Überfahrt. Ankunft ist somit gegen 11:10.
„Gibt es hier Toiletten?
Haben Sie noch Karten für die Bunkerführung?
Das sind die beiden Fragen, die der Helgoland Touristik am häufigsten gestellt werden.“
— Reise Know-How Helgoland
Ich komme mir ja etwas dumm vor, als ich nach etwas Anstehen draußen dann (mit Maske) bei der Tourist-Info im Atoll-Hotel, das jetzt komplett von den Bauarbeitern der Offshore-Windfarm im Norden genutzt wird, nachfrage, ob sie noch Karten für die Bunkerführung haben. Allerdings kann man wegen Corona keine Karten telefonisch reservieren, weshalb ich mir nicht blöd vorkommen muss.
Die meisten Führungen in Helgoland liegen so, dass Tagesgäste sie nicht besuchen können. Die Bunkerführung liegt beispielsweise um 10 und (außer an Sonntagen) um halb 17 und dauert offiziell 90 Minuten. Der Katamaran stellt die früherste Ankunft- und späteste Abfahrtzeit: Er kommt nicht deutlich vor 11 und fährt um 18. Abfahrt des Katamarans ist übrigens pünktlich. Laut Website von Helgoland kann es bei hoher Nachfrage Zusatztermine geben. Heute findet tatsächlich so eine zusätzliche Bunkerführung um 13 Uhr statt. Obwohl ich der erste Tagesgast bei der Tourist-Info sein dürfte, bekomme ich den allerletzten von 20 Plätzen. Ein Ticket kostet 12,50 Euro.
Es ist jetzt kurz nach halb 12. Bis dahin auf die Nebeninsel Düne? Nein, das reicht nicht. Ich schaue mir das Nordost-Gebiet an, das wie große Teile des Unterlandes und zwei Drittel der heutigen Fläche der Düne durch Landgewinnung mit Material vom Festland geschaffen wurde. Währenddessen reift die Erkenntnis, dass ich dann wohl doch über Nacht hier bleiben sollte. Ich frage bei der Jugendherberge nach, die hier auf diesem Gelände steht. Nach dem Belegungsplan auf der Website wäre noch was frei, aber sie ist ausgebucht. Nach dem Plan könnte es sogar sein, dass die Jugendherberge glücklich über Wochenendgäste ist, da die Auslastung schwerpunktmäßig in der Woche ist.
Google Maps sagt aber auch, es gäbe noch ein Einzelzimmer in Rickmers Insulaner für 113 Euro. Erstmal bei Cassen Eils anrufen, ob man umbuchen kann. 6 Minuten Warteschleife. Ja, ich kann umbuchen. Es kostet 15 Euro Differenz zwischen Tagesticket und Saisonticket.
Oh, schon fast 13 Uhr. Schnell zum Treffpunkt am Falm. Praktischerweise gibt es einen Weg direkt vom Nordost-Gelände zum Falm. Ein Mädel quatscht mich an, wo das Museum sei. Erst nach meiner Antwort fragt sie, ob es da die Bunkerführungen gebe. Nein, die seien gleich da oben, meine ich, aber ausgebucht. Eigentlich hätte ich ihr mein Ticket anbieten können, fällt mir erst ein, als sie weg ist, da ich auch an der regulären Führung um 16:30 teilnehmen könnte und dann hier pennen oder zum Schiff rennen. Aber ich weiß ja auch nicht, ob die nicht schon ausgebucht ist.
Bunkerführung
Vom Treffpunkt am Falm hat man einen guten Blick auf die Düneninsel, was unser Führer für eine Erklärung nutzt. Auf dem Weg steht außerdem der Maulbeerbaum. Er ist dafür bekannt, die riesige Explosion vom 18. April 1947, bei der die militärischen Bunker und weiteren Gebäude und mit ihnen die halbe Insel von den Briten gesprengt wurden, überstanden zu haben. Im Spätsommer hingen die „Helgoländer Kinder wie Äffchen im Baum“, um die süßen Früchte zu essen.
Dann sind wir auch schon beim Eingang zum Bunker. Der befindet sich neben dem Schulhof. Einmal sind hier 6 Kinder im Gedränge gestorben, weshalb er vom Schulhof an die Straße verlegt wurde.
Nachdem wir unten sind, kommen wir an einem der Telefone vorbei. Es ist ein altes Drehscheibentelefon, dazu später mehr. Direkt neben dem Telefon ist das Treppenhaus. Die Treppen sind gegenläufig angeordnet, was hier erstmals genutzt wurde. Bei dem Prinzip gibt es pro Stockwerk zwei Eingänge ins Treppenhaus, die auf der Ebene im Treppenhaus selbst nicht miteinander verbunden sind. Von beiden führt eine Treppe hoch und runter. Auf halber Strecke zum nächsten Stockwerk teilt sich jede Treppe eine Stufe mit der Treppe des anderen Eingangs, die dieselben Stockwerke verbindet. Man kommt sich bei Benutzung des Treppenhauses ziemlich blöd vor.
Beim Eingang der Treppenhauses hängt eine Karte von Helgoland, auf der die ganzen Stellungen aus dem zweiten Weltkrieg eingezeichnet sind. Reichweite: bis zu 52 Kilometer – bis zur Elbe-Mündung. In weniger als 4 oder 5 Kilometern Höhe flogen die Flugzeuge auch nicht drüber.
Fünf Stockwerke tiefer befindet sich etwa 17 bis 18 Meter unter der Erde ein langer Stollen:
Auf dem Bild gut zu erkennen ist die „Lampenflora“. Die ist deshalb beeindruckend, weil es kein natürliches Licht hier unten gibt und außerhalb der Hauptsaison geht das Kunstlicht auch nur einmal pro Woche an. Die Luftqualität ist aber spitzenmäßig, bescheinigt regelmäßig der TÜV. Solange die Luft nicht genau so spitzenmäßig wie Dämme in Brasilien sind, die ebenfalls von TÜV abgenommen wurden, ist ja alles OK.
Der „Fuchsbau“ auf dem Bild ging nochmal gut dieselbe Länge weiter, ist dort jedoch eingebrochen. Am Ende befand sich die „Spirale“, ein heute nicht mehr vorhandenes Backsteingebäude mit zwei großen Treppenhäusern. Dadurch war der „Fuchsbau“, aber auch der Unterlandstollen erreichbar.
Falls ihr euch fragt, was die Kanonenkugel da soll. Wie die hier hingekommen ist, weiß man nicht so genau, aber sie wurde durch einen Beitrag des NDR bekannt, in dem sie vorkommt. Wenn man die runterrollen lässt, klingt das laut alten Helgoländern wie ein Angriff.
Wir kommen am Raum des Luftschutzwarts vorbei, der anders als die anderen Räume sehr dunkel in anthrazit gestrichen ist. Das Inventar steht jetzt in Berlin, da es hier unten aufgrund der Feuchtigkeit schlechte Chancen hätte. Gerade wird ein weiterer Bunker erschlossen, wo die Gegenstände dann ausgestellt werden könnten.
Dann kommen wir an den Toiletten vorbei. Die Keramik wurde von den Engländern nach dem zweiten Weltkrieg abmontiert. In der Kubakrise (Herbst 1962) wurden aber neue Toiletten installiert, die in der Bevölkerung den Namen Goldeimer erhielten.
Weiter den Gang entlang kommt der „Mutter und Kindraum“[sic!]. Heute werden Schwangere (derzeit gibt es davon drei) vier bis sechs Wochen vor dem prognostizierten Termin nach Cuxhaven gebracht. Die hiesige Nordseeklinik ist nämlich privatisiert und hat keine Geburtenstation mehr. Inzwischen gibt es aber die Möglichkeit, für dort von Helgoländern geborene Kinder Helgoland als Geburtsort eintragen zu lassen.
Am Ende des Fuchsbaus, wo er in den Weddingenstollen übergeht, ist eine Ausstellung mit Kampfmitteln, historischen Fotos (vom intakten Vorkriegshelgoland und den Ruinen nach dem Krieg) und Plänen der Nazis. Größtes Projekt war Projekt Hummerschere, das hier einen riesigen Militärhafen in der namensgebenden Form vorsah. Die Mole sollte auf 5 Kilometer verlängert werden. Heute gibt es hingegen Bestrebungen, Düne und Helgoland zu verbinden. Das wurde einmal abgelehnt, man will es aber wieder versuchen.
Am Ende des Weddingenstollens befinden sich einige Einrichtungen, beispielsweise eine Schule und eine – nicht zugängliche – Bäckerei, die täglich frisches Brot für 4.000 Personen herstellen konnte. Die Einrichtungen wurden aber nur an drei Tagen genutzt.
Ausgang des Bunkers ist dann bei der katholischen Michaelis-Kirche. Die ist übrigens nicht schön von außen, von innen schaue ich sie mir gar nicht erst an.
Hier noch ein Tipp: Die Tour hat bei mir etwa 65 Minuten gedauert (und nicht 90 wie offiziell angegeben – in meinem Reiseführer steht übrigens auch 60 Minuten). Man kann sich nicht verlaufen und kann die Tour ausdrücklich bei Unwohlsein jederzeit abbrechen, indem man zum Eingang zurück läuft. Der Weg vom Ausgang zum Schiff sollte etwa 15 Minuten betragen, vom Eingang etwas mehr. Es ist somit für Tagesbesucher möglich, die 16:30-Tour zu machen, wenn sie die Zeit im Blick behalten.
Ich gehe zum Hotel Rickmers Insulaner, um meine Hotelübernachtung zu buchen. Das ist das erste Gebäude nach den Hummerbuden, wenn man vom Anleger kommt. Das geht aber nicht, denn Übernachtungen kann man nur in der Storytels-Rezeption (Storytels heißt die Hotelkette), auf Google Maps Helgoländer Botschaft, buchen. Hab ich auch noch nicht gehabt, dass ich ein Hotel nicht im Hotel buchen konnte. Eine Rezeption ist das dort übrigens nicht, denn zum Checkin muss ich zurück zum Hotel. Mache ich später, jetzt erstmal zum Lummenfelsen, wo um 15 Uhr die Vogeltour des Vereins Jordsand starten soll.
Ich finde dort aber niemanden. Am nächsten Tag werde ich erfahren, dass sie wegen der Mindestteilnehmerzahl ausgefallen ist. Gut, egal, Vögel fotografieren geht auch so.
Gut, genug Basstölpel. Jetzt geht’s einmal rund um den Klippenrandweg.
So, Zeit zum Einchecken. Das Zimmer ist modern und zweckmäßig eingerichtet. Es gibt sowohl einen Wasserkocher als auch eine Kapsel-Kaffeemaschine. Da ich nicht dachte, dass ich hier übernachten werde, habe ich keine Netzteile für Handy und Kamera mitgenommen, aber im Hotel haben sie sowohl ein (sehr mitgenommen wirkendes) USB-C- als auch ein USB-Mikro-B-Netzteil.
Jetzt, so um kurz vor 19, hat nur noch der Edeka-Falmmarkt geöffnet. Der ist äußerst schlecht sortiert, hat aber eine große Auswahl an Chinanudeln. Da ich einen Wasserkocher auf dem Zimmer habe, ist das mein Ersatz fürs Abendessen und Frühstück. Letzteres wäre mit 18 Euro im Hotel auch etwas übetrieben teuer. Auch wenn ich keine indonesischen Maßstäbe ansetze.
Stell dir vor, du kannst nicht fliegen, aber deine Eltern würden ständig auf dich einreden, dich von einem 30 Meter hohen Felsen auf den Boden zu stürzen. Wenn das der Fall ist, sind deine Eltern entweder Trottel – oder Trottellummen. Bei letzteren ist das nämlich normal. Und wird hier als Lummensprung groß aufgezogen. Der Lummensprung ist aber seit einer Woche so mehr oder weniger vorbei. Der Verein Jordsand bot vom 10. bis zum 25. Juni Touren von 21 bis 23 Uhr an. Später wird mir erzählt werden, dass der Lummensprung eigentlich erst so gegen 22:30 beginnt, aber niemand kommt, wenn man Startzeit 22 Uhr auf den Aushang schreibt.
Einzelne Trottellummen-Junge gibt es noch auf und um den Lummenfelsen. Also geht es nach dem Einchecken und Einkaufen wieder zurück.
Eine Silbermöwe sitzt auf einem kleinen Felsen und macht Geräusche. Zwei Leute, denen ich auf dem Klippenrandweg begegne, meinen, die Möwe würde mich auslachen.
Trottellummen können schlecht fliegen. Sie fallen erst zehn, zwanzig Meter. Und dann fliegen sie in sehr seltsam aussehender Art davon.
Während ich fotografiere komme ich mit einer Fotografiegruppe sowie einer Biologie-Studentin ins Gespräch. Sie gehen dann aber irgendwann weiter. Ich bekomme lediglich noch Besuch von einer Maus.
Bei den Lummen passiert nichts mehr. Als ich gerade gehen will, kommt die Biologie-Studentin zu mir zurück. Sie haben eine einzelne junge Trottellumme beobachtet. Als sie gerade starten wollte, sei sie aber von einer Möwe geholt worden. Während ich zum Hotel gehe – die vorhin erwähnte Silbermöwe sitzt immer noch an derselben Stelle und lacht; vom Südhafen schallt Griechischer Wein hoch auf den Klippenrandweg –, muss ich die ganze Zeit überlegen, ob ich das gerne gesehen hätte oder nicht.
Egal. Jetzt gibt’s erstmal Chinanudeln.
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